Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) veröffentlichte im Mai 2024 die zentralen Eckpunkte des von ihm geförderten Forschungsprojekts „Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern“. Erarbeitet worden ist die Studie von Wissenschaftlern des Fachgebiets „Management im Gesundheitswesen“ an der Technischen Universität Berlin.
Die stationäre Versorgung in Deutschland ist durch eine im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Bettenkapazität sowie eine übergroße Anzahl stationärer Krankenhausbehandlungen geprägt. Andere europäische Länder verzeichneten 2019 im Mittel vier Krankenhausbetten und 146 stationäre Behandlungen pro 1.000 Einwohner. Deutschland lag dagegen mit sechs stationären Klinikbetten und 252 Behandlungen pro 1.000 Einwohner deutlich darüber. Insbesondere die stark gestiegenen Kosten für Klinikbehandlungen und der zunehmende Fachkräftemangel machen es dringend erforderlich, bisher stationär erbrachte Leistungen in die ambulante Versorgung zu verlagern.
2,5 Millionen Behandlungen hätten ambulant erfolgen können
Zudem stellt sich die Frage, wie hoch das Potenzial bei der Ambulantisierung von stationären Behandlungen tatsächlich ist. 2021 hätten mehr als 2,5 Millionen der stationär erbrachten Behandlungen ambulant vorgenommen werden können. Das sind knapp ein Fünftel aller Behandlungen in Krankenhäusern.
Dr. Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, bekräftigte, dass niedergelassene Ärzte deutlich zeiteffizienter und kostenökonomischer ambulant operieren könnten, als dies im stationären Bereich üblich sei. In den stationären Preisen seien zudem auch versorgungsferne Kosten enthalten. Auf der anderen Seite müssen die Vertragsarztpraxen aber Wettbewerbsnachteile gegenüber den Krankenhäusern ausgleichen. Etwa, weil die Vergütungen für die Praxen generell weniger seien als für vergleichbare Leistungen in Krankenhäusern. Hinzu kommen deutlich höhere Haftpflichtversicherungsprämien und massiv gestiegene Sachkostenpreise, die derzeit bei den zeitaufwendigeren Leistungen kaum noch aus den Pauschalen für die sektorengleiche Vergütung herausgewirtschaftet werden können.
Studie belegt: Knapp 20% der Leistungen könnten ambulant erbracht werden
In der Studie wurde das Ambulantisierungspotenzial anhand zwei abweichender Methoden untersucht. Dies war zum einen das vom IGES-Institut im Gutachten zu § 115b SGB V vorgeschlagene Kontextfaktorenmodell. Zum anderen eine Berechnung, in dem die Einschlüsse und Kontextfaktoren des Katalogs „Ambulante Operationen und stationsersetzende Eingriffe“ (AOP-Katalog) aus dem Jahr 2023 zugrunde gelegt worden sind. Demnach hätten nach dem IGES-Modell 2021 rund 2,6 oder nach dem AOP-Katalog rund 2,7 Millionen stationär erbrachte Behandlungen ambulant vorgenommen werden können. Dies entspricht knapp 18 bzw. 19% aller stationären Behandlungen.
AOP-Katalog muss überabeitet werden
Um das hohe ambulante Potenzial bisher stationär erbrachter Leistungen zu heben, sei eine weitere Überarbeitung des AOP-Katalogs hinsichtlich der einbezogenen Leistungen sowie der Kontextprüfung unbedingt erforderlich, sagte Prof. Dr. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Der AOP-Katalog 2023 falle hinsichtlich der einbezogenen Leistungen deutlich hinter das im IGES-Gutachten aufgezeigte Potenzial zurück und müsste auch konservative Behandlungen umfassen. Mit einem Potenzial von rechnerisch bis zu 5,5 Millionen Behandlungen erscheine eine zunehmende Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen angesichts der finanziellen und personellen Herausforderungen in der stationären Krankenhausversorgung, vor allem auch vor dem Hintergrund internationaler Vergleiche, aber dringend geboten.
Der Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Ambulantisierungspotenzial in deutschen Akutkrankenhäusern“ steht hier zum Download bereit.