Adipositaschirurgie erhöht möglicherweise das Risiko für Epilepsie

Offenbar besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen adipositaschirurgischen Eingriffen zur Gewichtsreduktion und einem deutlich erhöhten Epilepsie-Risiko – diesen Schluss legen jedenfalls die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie nahe. Für Studienleiter Prof. Dr. Jorge Burneo, Professor für Neurologie, Biostatistik und Epidemiologie und Inhaber der Stiftungsprofessur für Epilepsie an der Western University im kanadischen London, Ontario, könnte die Ursache in einem postoperativ veränderten Darmmikrobiom liegen, erklärte er gegenüber dem Medizin-Portal Medscape. Die Studienergebnisse wurden auf der virtuellen Jahrestagung 2021 der American Epilepsy Society (AES) vorgestellt [1].

Retrospektiv untersucht wurden Daten von fast 17 000 Patienten nach einem adipositaschirurgischen Eingriff im Vergleich zu Adipösen ohne OP

Während seiner Ausbildung in Epileptologie war Burneo auf eine Reihe von Patienten gestoßen, die praktisch „aus heiterem Himmel“ eine Epilepsie entwickelt hatten. „Das einzig Auffällige in ihrer Anamnese waren adipositaschirurgische Eingriffe“, sagte er. Später als praktizierender Epileptologe begegnete er dann erneut Patienten, bei denen er einen Zusammenhang zwischen Epilepsie und derartigen Eingriffen vermutete. Um einen möglichen Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren zu klären, nutzte Burneo Daten von 16 958 erwachsenen Patienten aus Datenbanken des Institute for Clinical Evaluative Sciences (ICES), die sich zwischen Juli 2010 und Dezember 2016 einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen hatten. Außerdem analysierten sie die Daten einer Stichprobe von 622 514 adipösen Patienten, die sich keinem solchen Eingriff unterzogen hatten. Keiner der Studienteilnehmer hatte zuvor Anfälle gehabt, keiner nahm Antiepileptika ein, und keiner wies eine psychiatrische Begleiterkrankung auf. Auch hatte sich niemand zuvor einer Hirnoperation unterziehen müssen, durch die ein Epilepsie-Risiko erhöht sein könnte. Die beiden Studiengruppen waren hinsichtlich Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) und einigen anderen Merkmalen vergleichbar.

0,4 Prozent der Patienten aus der Adipositaschirurgie-Gruppe entwickelten im weiteren Verlauf eine Epilepsie

Die Forscher ermittelten bei allen Teilnehmern bis zum 31. Dezember 2019 mögliche Fälle einer neu aufgetretenen Epilepsie (2 oder mehr unprovozierte Anfälle). Während dieses Nachbeobachtungszeitraums entwickelten 73 Teilnehmer (0,4%), die sich einem adipositaschirurgischen Eingriff unterzogen hatten, eine Epilepsie (50,1 pro 100 000 Personenjahre). Neben der Epilepsie wurden auch Schlaganfälle und Infektionen des zentralen Nervensystems wie Meningitis und Enzephalitis beobachtet. Es zeigte sich ein signifikant erhöhtes Epilepsie-Risiko bei denjenigen, die sich wegen ihrer Adipositas einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen hatten, gegenüber denjenigen, die nicht operiert worden waren (HR 1,45; 95% KI 1,35–1,56). Die Ergebnisse unterschieden sich hinsichtlich der verschiedenen Operationsformen wenig. Darüber hinaus zeigte sich in der Operationsgruppe bei denjenigen, die während der Nachbeobachtungszeit einen Schlaganfall erlitten hatten, ein deutlich erhöhtes Epilepsierisiko (HR 14,03; 95% KI 4,26–46,25). Dies bestätigt das bekanntermaßen erhöhte Epilepsie-Risiko nach einem Schlaganfall. Nach Burneos Zahlen entwickeln bis zu sechs Prozent dieser Patienten eine Epilepsie – eher nach einem hämorrhagischen Schlaganfall als nach einem ischämischen.

Der Mechanismus, der einen  adipositaschirurgischen Eingriff mit einer erhöhten Anfallsneigung verbindet, sei bislang unklar, so Burneo, doch für ihn sei es wahrscheinlich, dass Veränderungen im Mikrobiom damit in Zusammenhang. Der drastische Gewichtsverlust nach Adipositaschirurgie könnte zudem Elektrolytstörungen verursachen, die zu Anfällen prädisponieren. Zukünftige Forschungsanstrengungen sollten sich nun den zugrunde liegenden Mechanismen dieses Zusammenhangs widmen.

  1. American Epilepsy Society (AES) 2021 Annual Meeting, 3. bis 7. Dezember 2021, online. Abstract 3.373