Zeitdruck beeinträchtigt chirurgische Qualität bei minimalinvasiven Eingriffen

Ein Chirurg an der Trainingsbox für minimalinvasive Operationen. © UK Dresden/Marc Eisele

Zeitdruck führt bei minimalinvasiven operativen Eingriffen dazu, dass die durch Operierende ausgeübte Kraft signifikant zunimmt und die Fehlerrate steigt. Diese Qualitätseinbußen konnte ein Forscherteam aus dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und am Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) der TU Dresden in einer Studie bei Medizinstudierenden ebenso messen wie bei erfahrenen Chirurginnen und Chirurgen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im renommierten International Journal of Surgery veröffentlicht [1].

Zeitdruck zählt zu den größten Stressfaktoren in der Chirurgie und kann die Qualität chirurgischer Eingriffe beeinträchtigen. Wie genau sich die Zeitverknappung auf die chirurgischen Fähigkeiten bei minimalinvasiven Eingriffen auswirkt, haben Forschende nun in einer Studie anhand verschiedener Qualitätskriterien untersucht. In die Studie eingeschlossen waren 63 Probandinnen und Probanden: 43 Medizinstudierende, die zuvor ein bestimmtes Trainingslevel für minimalinvasive Operationstechniken erreicht hatten, sowie 20 in Schlüssellochoperationen erfahrene Chirurginnen und Chirurgen (Assistenz-, Fach- und Oberarzt-Level). Untersucht wurde die von Allen ausgeübte mittlere und maximale Kraft sowie das Auftreten vordefinierter Fehler bei vier für das Training minimalinvasiver Operationen typischen Aufgaben, die an einer Trainingsbox ausgeführt wurden, zunächst ohne Zeitvorgabe und zu einem späteren Zeitpunkt unter der Maßgabe, die zuvor individuell benötigte Zeit um mindestens zehn Prozent zu unterschreiten. Bei Aufgabenausführung unter Zeitdruck zeigte sich über alle Teilnehmenden hinweg ein signifikanter Anstieg bei der mittleren und maximalen Kraftaufwendung. Dieser Anstieg war bei Erfahrenen bei zwei von vier Aufgaben messbar, bei Studierenden bei allen vier Aufgaben (mittlere Kraft), bzw. bei drei von vier Aufgaben (maximale Kraft). Die Forschenden arbeiteten hierbei mit einem System, das die ausgeübte Zug- und Druckkraft in allen drei Dimensionen messen kann.

Prof. Dr. Marius Distler, stellvertretender Direktor der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie (VTG) des Universitätsklinikums Dresden, erklärt: „Die ausgeübte Kraft, besonders die maximale Kraft, ist ein wichtiges Qualitätskriterium für chirurgische Eingriffe. Wird zu viel Kraft ausgeübt, kann das Gewebe geschädigt werden, mit zum Teil gravierenden Folgen für den Patienten. Wir konnten feststellen, dass die durch den Zeitdruck bedingte erhöhte Kraftausübung bei Anfängern besonders hoch ist und mit zunehmender Erfahrung der Chirurgen abnimmt. Dennoch waren wir überrascht, wie deutlich dieser Effekt auch bei erfahrenen Kolleginnen und Kollegen messbar war.“

„Unsere Operationen werden mit umfänglichen Laufzeiten und voll besetzten Teams geplant, was ausreichend Kapazitäten schafft. Der Fokus liegt ganz klar auf Qualität. Der Versuchung, die Dauer von Operationen beispielsweise aufgrund von wirtschaftlichen Erwägungen auf ein Minimum zu reduzieren, sollte man keinesfalls nachgeben“, so Prof. Dr. Jürgen Weitz, Direktor der Klinik für VTG-Chirurgie des Universitätsklinikums Dresden und Mitglied im Geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC Dresden. Der in der Studie gemessene erhöhte Kraftaufwand ist gerade auch in der minimalinvasiven Chirurgie ein Problem. Denn hier wird die Kraft über Instrumente oder robotergestützte Systeme ausgeübt. „Der Chirurg hat hierbei ein sehr viel eingeschränkteres Kraftempfinden als bei einer offenen Operation, bei der er das Gewebe direkt berührt. Ein stressbedingter erhöhter Kraftaufwand ist so für Operateurinnen und Operateure schwerer wahrnehmbar. Wir arbeiten daher gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU auch an der Entwicklung von Systemen, die Chirurgen bei minimalinvasiven Eingriffen künftig ein taktiles Feedback bieten sollen“, so Chirurgie-Oberarzt Dr. Florian Oehme. Als zweites Qualitätskriterium wurde das Auftreten bestimmter vordefinierter Fehler untersucht. Dabei zeigte sich bei den Studierenden wie bei den erfahrenen Chirurginnen und Chirurgen eine deutliche Zunahme der Fehlerrate bei einer der vier Aufgaben – beim Ausführen einer präzisen Naht (Anzahl Fehler beim präzisen Nähen über alle Teilnehmenden: ohne Zeitdruck = 6; mit Zeitdruck = 43). Alle gaben über Fragebögen jeweils vor und nach Absolvierung der vier Aufgaben Auskunft über das selbst empfundene Stresslevel. Hierbei war das persönliche Stressempfinden bei den Studierenden nach Ausführung der Aufgaben unter Zeitdruck deutlich erhöht, während die Erfahrenen keine wesentlichen Unterschiede vermerkten. „Dies gibt zumindest einen Hinweis darauf, dass die Selbsteinschätzung erfahrener Chirurginnen und Chirurgen hinsichtlich der Auswirkung von zeitbedingtem Stress auf ihre chirurgischen Fähigkeiten nicht immer zutreffend ist. Zwar waren die über die untersuchten Qualitätskriterien messbaren negativen Effekte bei ihnen geringer als bei den Studierenden, aber dennoch deutlich messbar“, sagt der Erstautor Dr. Felix von Bechtolsheim aus der VTG-Klinik. Insgesamt deutet die Studie darauf hin, dass Zeitdruck in der MIC so weit wie möglich reduziert werden sollte. „Vor allem junge Chirurginnen und Chirurgen benötigen zudem ein umfängliches Training in einer stressfreien Umgebung, um Fehler und hohe Kraftaufwände dann in realen Operationen so weit wie möglich vermeiden zu können“, ergänzt Distler.

  1. Bechtolsheim F von, Schmidt S, Abel S, et al (2022) Does speed equal quality? Time pressure impairs minimally invasive surgical skills in a prospective crossover trial, Int J Surg 104: 106813. https://doi.org/10.1016/j.ijsu.2022.106813

Nach einer Pressemitteilung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC). Das NCT/UCC ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).