CME-Fortbildung aus CHAZ 4-2018

Matthias H.M. Schwarzbach, Hussein Sweiti, Noor Tamimi, Maren Jordan, Dominik Beidatsch, Fabian Bormann, Sanja Schmeck, Ullrich Ronellenfitsch, Marit Ahrens, Wolfgang Wild, Markus Müller-Schimpfle, Daniela Schulz-Ertner

Gliedmaßenerhalt bei Weichgewebe­sarkomen
mit Beteiligung des Nervus ischiadicus im multimodalen Therapiekonzept

Weichgewebesarkome (WGS) sind seltene und heterogene bösartige Tumoren [2]. Diese „rare cancers“ („seltene Krebse“) machen lediglich rund ein Prozent der bösartigen Tumoren im Erwachsenenalter aus. WGS können in nahezu allen Körperregionen auftreten. Am häufigsten jedoch werden die WGS an der unteren Extremität diagnostiziert [2]. Mehr als fünfzig histologische Subtypen werden unterschieden, wobei Liposarkome an erster Stelle stehen.
Die Therapie der Wahl bei lokalisierten WGS ist eine onkologische R0-Resektion. Bei großen intramuskulär gelegen Sarkomen ist zumeist eine weite Resektion oder eine Kompartmentresektion erforderlich [1–3]. In Abhängigkeit von Lokalisation, Tumorgröße, Grading, Operationstechnik und histopathologischen Befund wird eine perkutane Strahlentherapie im multimodalen Therapiekonzept eingesetzt [3]. In speziellen Befundkonstellationen ist eine Extremitätenperfusion vor einer Resektion eine gute Therapieoption, um eine Amputation zu vermeiden (monströse Primärtumoren, Lokalrezidive oder stattgehabte Strahlentherapie) [4]. Die Bedeutung der adjuvanten Chemotherapie ist weiterhin Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen und wird an den verschieden Sarkomzentren in Deutschland unterschiedlich praktiziert. Aufgrund der komplexen multimodalen Therapiekonzepte (Operation, Radiotherapie, isolierter Extremitätenperfusion und Chemotherapie) entscheiden interdisziplinäre Tumorboards an den Sarkomzentren wie der Therapieplan beim individuellen Patienten aussehen kann. Die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. bietet seit 2017 eine Pilotzertifizierung an onkologischen Zentren an. Die ersten Zentren, u. a. das Sarkomzentrum Frankfurt, haben bei OnkoZert das Zertifizierungsverfahren eingeleitet und werden im Jahr 2018 auditiert.
 

Das Vorliegen einer Stammnervenbeteiligung wird bis heute kontrovers diskutiert
Bei Extremitätensarkomen mit Gefäßbeteiligung wurden Fortschritte durch eine präoperative Klassifikation, Einführung eines Behandlungsalgorithmus und Ergänzung durch moderne gefäßchirurgische Techniken (subadventitielle Dissektion, En-bloc-Resektion arterieller und venöser Blutleiter und deren prothetischer Gefäßersatz) erzielt [5–8]. Diese Fortschritte ermöglichen auch bei Blutgefäßbeteiligung ein gliedmaßenerhaltendes Vorgehen im multimodalen Behandlungskonzept. Das Vorliegen einer Stammnervenbeteiligung wird bis heute kontrovers diskutiert. Aufgrund des sensomotorischen Ausfalls bei Komplettresektion des N. ischiadicus und daraus resultierenden sensomotorischen Einschränkung wird auch heute noch die Amputationsindikation gestellt [9]. Es stellt sich daher die Frage nach den klinischen Ergebnissen bei Ischiadicusbeteiligung und nach einer differenzierten Betrachtungsweise.
Welche Formen der Beteiligung des N. ischiadicus durch WGS werden beobachtet? Welche onkochirurgischen Techniken und Resektionsansätze sind verfügbar? Welche Möglichkeiten bietet ein multimodal geplantes therapeutisches Vorgehen mit dem Ziel des Extremitätenerhalts ohne Kompromittierung des onkologischen Ergebnisses? In der Literatur finden sich nur wenige kleine Fallstudien oder Einzelfallberichte, die sich mit dem Thema Extremitätenerhalt durch partielle oder komplette N.-ischiadicus-Resektion beschäftigen [10–13]. Insgesamt jedoch sind die Ergebnisse dieser Studien ermutigend und sprechen auch bei N.-ischiadicus-Beteiligung für ein indikationsbezogenes differenziertes Vorgehen primär mit Extremitätenerhalt.

Klassifikation der Nervenbeteiligung des N. ischiadicus: Entscheidend ist eine aufmerksame Bildbetrachtung
Entscheidend für die Beurteilung einer Nervenbeteiligung sind die klinischen Beschwerden der Patienten. Bei Patienten/-innen mit Morbus von Recklinghausen etwa spricht eine neurologische Symptomatik für das Vorliegen eines MPNST (maligner peripherer Nervenscheidentumor) und gegen das Vorliegen eines gutartigen Schwannoms oder Neurofibroms [14]. Bei Patienten mit sekundärer Nervenbeteiligung treten sensomotorische Ausfälle selten auf. Entscheidend für das Erkennen einer Stammnervenbeteiligung ist eine differenzierte Bildbetrachtung. Die hochauflösende Schnittbildgebung mit Magnetresonanztomographie oder Computertomographie liefert in der Regel die notwendigen klinischen Informationen. Bei WGS im ischiokruralen Muskelkompartiment benötigt man eine entsprechend ausgedehnte Abbildung in der der N. ischiadicus von seinem Ursprung am Gesäß bis unterhalb des WGS zur Darstellung kommt. In einer Analyse des Sarkomzentrums Frankfurt Höchst wurden Patienten identifiziert, die eine Umwachsung des N. ischiadicus aufwiesen (Abb. 1–3). Diese Form der N.-ischiadicus-Beteiligung haben wir als Typ-A-Stammnervenbeteiligung klassifiziert [15]. Unserer Kenntnis nach ist das die erste Klassifikation einer Stammnervenbeteiligung durch WGS. Um eine möglichst klare Trennung zu erzielen, wurde festgelegt, dass eine Nervenumwachsung von mehr als 180 Grad als zirkuläre Umwachsung gewertet wird [15] (Abb. 4). Diese Form war in unserem chirurgischen Patientengut an zweiter Stelle in der Häufigkeit. Häufiger als den Typ A haben wir den Typ B beobachtet. Der Typ B wurden definiert als WGS mit direktem Nervenkontakt in der Schnittbildgebung ohne eine trennende Gewebeschicht wie Muskulatur und einer Kontaktfläche von weniger als 180 Grad zum Nerv. Sarkome, die zum Nerv als distant gelten können und die beispielsweise durch Muskulatur vom WGS distanziert waren, wurden als Typ C gewertet (Abb. 5). In unserem Patientengut nahmen Typ-C-Sarkome die Mehrheit ein. Eine Nervenbeteiligung des N. ischiadicus wurde bei 7,5 Prozent aller behandelter Patienten (obere und untere Extremität zusammengenommen) und bei 15 Prozent der Patienten mit Sarkomen der unteren Extremität angetroffen (Typ A oder B) [15]. Somit weisen ein bis zwei von zehn Patienten, die wegen eines WGS der unteren Extremität an einem Sarkomzentrum behandelt werden, eine Beteiligung des N. ischiadicus auf.

... weiterlesen als Abonnent.
... den Beitrag kaufen.