Immer mehr Klinikärzte resignieren laut Professor Matthias Anthuber, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), vor überbordender Bürokratie, ökonomischem Druck und zunehmender Arbeitsverdichtung. Er fordert daher ein Umsteuern und appelliert an die gesundheitspolitisch Verantwortlichen, die Verwaltungsaufgaben der Ärzte zu reduzieren. Es müssten mehr Klinik-Kitas mit 24-Stunden-Betreuung eingerichtet werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Denn: Untersuchungen zeigen, dass fast zwei Drittel der deutschen Klinikärzte negativen Stress („Disstress“) erleben. Ein Viertel möchte aus der klinischen Tätigkeit aussteigen. Die Burnout-Raten nehmen zu: „Alle Studien, ob national oder international, belegen einen Anstieg“, sagt Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt am Zentrum für seelische Gesundheit bei Asklepios Hamburg-Harburg. Ein Autorenteam um die Psychologen Marcel Kern und Professor Dieter Zapf von der Universität Frankfurt/Main hält die Burnout-Gefahr für deutsche Chirurgen für besonders groß.
Chirurgen zunehmend in „Sandwichposition“
Als Auslöser der Gesundheitsgefährdung werden ein Übermaß an Bürokratie, Arbeitsverdichtung, Multitasking, häufige Unterbrechungen sowie fachfremde ökonomische und politische Zwänge genannt. So ergab die Umfrage des Marburger Bunds 2017 unter seinen Mitgliedern, dass knapp die Hälfte der befragten angestellten Ärztinnen und Ärzte (46 %) die eigenen Arbeitsbedingungen als „mittelmäßig“ ansehen, 19% als „schlecht“ und 5% gar als „sehr schlecht“. 26% beurteilten sie als „gut“ und nur 4% als „sehr gut“. Jeder Fünfte (19 %) gab an, sich mit dem Gedanken zu tragen, die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben. Auch sei der sogenannte „Halbgott in Weiß“ zunehmend Vergangenheit. Patienten seien heute informierter und kritischer geworden, so Unger. „Insgesamt befinden sich Klinikärzte immer stärker in einer Sandwichposition zwischen Ökonomie und Patientenwohl. Das führt zu Dauerstress, zu Frustration und Erschöpfung, und trifft ältere wie jüngere Ärzte gleichermaßen.“
Bei den auf dem Arbeitsmarkt stark gefragten Jüngeren, die noch vor einer beruflichen Weichenstellung stehen, kann das radikale Konsequenzen haben – und einen Rückzug aus der Kliniktätigkeit bewirken. Wie eine aktuelle KBV-Umfrage in Zusammenarbeit mit dem medizinischen Fakultätentag und der Bundesvereinigung der Medizinstudenten unter knapp 14 000 Medizinstudenten ergab, streben 70% eine Tätigkeit im ambulanten Bereich an, vor allem in angestellter Position in einer Gemeinschaftspraxis oder einem MVZ.
Besonders wichtig ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
„Gesundheitsminister Spahn würde dem Medizinstandort Deutschland einen großen Dienst erweisen, wenn er sich dafür einsetzte, die überbordende bürokratische Tätigkeit, die Klinikärzten inzwischen zugemutet wird, zurückzuführen“, sagt Anthuber. Zudem müssten Kliniken sich mehr in der Kinderbetreuung engagieren. „Wir brauchen Klinik-Kitas mit angemessenen Öffnungszeiten, um dem chirurgischen Nachwuchs im Sinne der Vereinbarkeit von Beruf und Familie attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten“, so der DGCH-Präsident. Die KBV-Umfrage unter Medizinstudenten kam zu dem Ergebnis, dass die Wahl des zukünftigen Arbeitsplatzes zu 94% von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bestimmt wird.