Mehrheit der Ärzte spricht sich für Zweitmeinungsverfahren aus

Fast 70 % der niedergelassenen Ärzte sind der Meinung, dass ärztliche Zweitmeinungen komplexe Therapieentscheidungen in der Regel verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt die von der Stiftung Gesundheit jüngst veröffentlichte Studie „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit 2021“, für die rund 34.500 ambulant tätige Humanmediziner online befragt wurden. Davon gaben 2.833 Ärzte einen ausgefüllten Fragenbogen ab, was einer Antwortquote von 8,2 % entspricht. Die Studie sollte Aufschluss darüber geben, inwieweit das Verfahren der Zweitmeinung bei den ambulant tätigen Ärzten bekannt ist, in welchem Umfang die formalen Voraussetzungen zur Teilnahme gegeben sind, und wie viele Ärzte bereit sind, an dem Verfahren mitzuwirken. Unstrittig sei, dass ein signifikanter Anteil der medizinischen Therapien angesichts der Komplexität in der Medizin nicht vollumfänglich dem Stand der Forschung beziehungsweise den Bedürfnissen der Patienten entsprechen, heißt es in der Studie. Diesem Umstand habe die Politik mit dem Versorgungsstärkungsgesetz 2015 Rechnung getragen. In den darauffolgenden Jahren habe sich das Zweitmeinungsverfahren stetig weiterentwickelt, seit Juli 2021 können Zweitmeinungen auch im Rahmen von Videosprechstunden eingeholt werden.

Über die Hälfte der Ärzte hält Zweitmeinung für sinnvoll

Laut der Studie ist der Großteil der Ärzte mit dem Konzept der ärztlichen Zweitmeinung sowie mit den Abläufen vertraut. Fast zwei Drittel der Befragten kennen sich nach eigenen Angaben sogar bis ins Detail mit dem Thema aus. Weitere fast 30 % haben zumindest am Rande davon gehört. Gänzlich unbekannt ist das Zweitmeinungsverfahren lediglich 9,3 % der Ärzte. Um zu erfahren, was die Befragten von dem Konzept halten und wie sie dessen Auswirkungen einschätzen, wurden ihnen eine Reihe von Thesen vorgelegt, die sie auf einer Likert-Skala mit den Abstufungen von „stimme voll zu“ bis zu „stimme gar nicht zu“ bewerten konnten. Danach hält mehr als die Hälfte der Interviewten Zweitmeinungen generell für sinnvoll. Zwiespältig sahen sie hingegen den Nutzen für die Patienten. Mehr als 60 % der Mediziner befürchtet, dass eine Zweitmeinung die Patienten verunsichern könnte. Ebenfalls 60 % der niedergelassenen Ärzte halten die Zweitmeinung nur in komplexen Fällen für sinnvoll, 39,1 % sehen darin einen finanziellen Vorteil für das Gesundheitssystem, im Vergleich zu 26,6 %, die dadurch eine unnötige Belastung für möglich halten.

G-BA prüft 15 weitere Indikationen

Bislang werden die Kosten für Zweitmeinungen von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur bei wenigen Eingriffen übernommen, darunter Tonsillektomien/Tonsillotomien und Hysterektomien. Derzeit lässt der Gemeinsame Bundesausschuss aber 15 weitere Indikationen prüfen. Die für die Studie befragten Ärzte halten insbesondere die Indikationen Hüftgelenkersatz (51,5 %), bariatrische Chirurgie (40,1 %) und Herzkatheteruntersuchungen (36,4 %) für sinnvoll. In einem Freitextfeld konnten sie zudem eigene Vorschläge für Indikationen machen. Auf Platz 1 rangierte hierbei die Orthopädie (24,8 %), gefolgt von der Chirurgie (15,7 %), der Gynäkologie (13 %) und der Onkologie (11,9). Nur 9,8 % sprachen sich für andere operative Fächer aus, darunter auch die Ophthalmologie.

Derzeit erfüllen fast 80 % der Ärzte die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erstellung von Zweitmeinungen, mehr als die Hälfte davon sogar in jeder Hinsicht. Bei 16,5 % sind die Voraussetzungen nicht gegeben und 4,6 % sind sich nicht sicher, ob sie die notwendigen Kriterien erfüllen. Die tatsächliche Teilnahme am Zweitmeinungsverfahren ist zurzeit jedoch noch gering: Danach haben lediglich 1,8 % der niedergelassenen Mediziner einen Vertrag mit einer GKV beziehungsweise 4 % mit mehreren GKVen abgeschlossen. Allerdings zeigen 80 % der Befragten Interesse daran, entsprechende Verträge mit einer Krankenversicherung oder mehreren Krankenversicherungen abzuschließen.

Die aktuelle Studie reiht sich in die Studienreihe „Ärzte im Zukunftsmarkt Gesundheit“ ein, die seit 2005 Trends und Entwicklungen im Gesundheitssektor beleuchtet. Die Stiftung Gesundheit ist eine gemeinnützige, rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Hamburg. Sie betreibt und pflegt das Strukturverzeichnis der medizinischen Versorgung in Deutschland, das alle ambulant tätigen Ärzte, Zahnärzte und Psychologischen Psychotherapeuten abbildet.