Organoide als Modell für die Entwicklung der menschlichen Netzhaut

Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich erstellen aktuell einen speziellen Atlas über das Vorkommen unterschiedlicher Zelltypen in den verschiedenen menschlichen Geweben – und wie genau sich verschiedene Gewebetypen während der Embryonalentwicklung bilden. Hierfür werden zusätzlich zu isolierten menschlichen Gewebetypen auch sogenannte Organoide verwendet, im Labor kultivierte dreidimensionale Gewebeklümpchen, die in kleinerem Maßstab eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie menschliche Organe. „Organoide haben den Vorteil, dass wir in ihre Entwicklung eingreifen und an ihnen Wirkstoffe testen können. Wir können dadurch mehr über gesundes Gewebe sowie über Krankheiten erfahren“, so Prof. Dr. Barbara Treutlein, Professorin für Quantitative Entwicklungsbiologie am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel. An Organoiden der menschlichen Netzhaut konnte nun mittels eines neuen Verfahrens, bei dem über 50 Proteine gleichzeitig mit Fluoreszensfarbstoffen angefärbt wurden, nachgewiesen werden, welche Funktionen die einzelnen Zelltypen der menschlichen Netzhaut besitzen (Stäbchen- und Zapfenzellen sowie Ganglienzellen). So wurden die Organoide über alle Stadien ihrer Entwicklung untersucht und Informationen über den gesamte Beobachtungszeitraum (39 Wochen) gesammelt.

„Wir können damit zeigen, wie sich das Organoidgewebe langsam aufbaut, wo sich wann welche Zelltypen vermehren und wo sich die Synapsen befinden. Die Vorgänge sind vergleichbar mit jenen der Netzhautbildung während der Embryonalentwicklung“, so Prof. Dr. Gray Camp, Professor an der Universität Basel und einer der Leiter dieser Studie. Nachdem nun die Informationen über die Entwicklung einer gesunden Netzhaut vorliegen, soll der Fokus auf die Entwicklung in den Netzhautorganoiden mit Wirkstoffen oder genetischen Veränderungen liegen. „Damit werden wir neue Einblicke gewinnen in Krankheiten wie Retinitis pigmentosa, die vererbbar ist und bei der die lichtempfindliche Rezeptoren der Netzhaut in einem schleichenden Prozess degenerieren und die Betroffene erblinden“, so G. Camp.

1. Wahle P, Brancati G et al (2023) Multimodal spatiotemporal phenotyping of human retinal organoid development. Nature Biotechnology, doi: 10.1038/s41587-023-01747-2 [https://doi.org/10.1038/s41587-023-01747-2]