US-Studie zeigt: Frauen warten 12 Minuten länger auf Hilfe in der Notaufnahme als Männer

Dass Frauen im Schnitt länger auf die Diagnostik und Therapie warten müssen als Männer, wurde bereits für akute Herzinfarkte, Schlaganfälle oder intensivmedizinische Behandlungen belegt. Wie ist es aber bei einem akuten schweren Trauma in der Notaufnahme? Eine Antwort darauf gibt eine retrospektive Kohortenstudie, die kürzlich in JAMA Surgery veröffentlicht und nun vom Online-Portal Medscape vorgestellt wurde [1]. Für ihre Untersuchungen nutzten die Autorinnen/Autoren die Trauma Quality Improvement Program (TQIP)-Datenbank der US-Trauma-Zenten Level I bis III. Von Juli 2020 bis Juli 2021 wurden 28 332 über 18-jährige Patientinnen und Patienten mit traumatischen Hirnverletzungen, intraabdominalen Verletzungen, Becken- oder Femurfrakturen oder Wirbelsäulenverletzungen mit einem Injury Severity Score (ISS) größer 15 eingeschlossen. 70,6 Prozent waren Männer (mittleres Alter 43,3 Jahre) und 29,4  Prozent Frauen (mittleres Alter 48,5 Jahre). Männer hatten häufiger abdominale (21,3 vs. 15,3%) und Rückenmarksverletzungen (20 % vs. 15,3 %) – Frauen dagegen häufiger Femur- und Beckenfrakturen (44,0 vs. 42,1% bzw. 47,6 vs. 34,8%).

Frauen warten 12 Minuten länger in der Notaufnahme und kommen häufiger in Langzeit-Pflege

7728 gematchte Paare, die sich nur in Bezug auf das Geschlecht unterschieden, wurden ausgewertet werden. dabei zeigt sich, dass Frauen im Schnitt mehr Zeit in der Notaufnahme verbrachten (184 vs. 172 Minuten) und länger im Prä-Triage-Status warten mussten (52 vs. 49 Minuten). Insbesondere die Zeit bis zu einer Beckenfixation war bei Frauen länger. Unabhängig vom Alter, ISS, Verletzungsmechanismus und -typ hatten die verletzten Frauen ein höheres Risiko, nicht mehr in ihre häusliche Umgebung, sondern in eine Langzeit-Pflegeeinrichtung entlassen zu werden (OR 0,72 für Männer). Die Gründe dieser Unterschiede in der Dauer bis zur Versorgung bleiben unklar, so die Studienautorinnen/-autoren. Ein höheres Risiko, in die Langzeit-Pflegeeinrichtung entlassen zu werden, könnte allerdings durch traditionelle Rollenbilder erklärt werden. Frauen seien traditionell im Haushalt stärker eingebunden oder hätten pflegebedürftige Familienangehörige, wodurch eine Erholung zu Hause erschwert werde. Ebenso wurde in qualitativen Studien beobachtet, dass alleinstehende oder verwitwete Frauen keine soziale Unterstützung erhalten, um eine häusliche Rehabilitation nach einem Trauma zu ermöglichen. Die nachgewiesenen Geschlechtsunterschiede bei der Versorgung schwerer Traumata sollten Gegenstand weiterer Forschung sein, um Versorgungslücken aufzudecken und entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln, wie beispielsweise bei der Qualitätsverbesserung der bestehenden Verfahren zur Beurteilung, Einstufung und Entlassungsplanung, schlussfolgerte das Autorenteam. Als retrospektive Kohortenstudie weist die Untersuchung einige Limitationen auf – zumal die Daten nicht spezifisch für diese Studie erhoben worden sind. Außerdem wurden Unterschiede zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität (Gender) nicht berücksichtigt.

  1. Ingram MCE, Nagalla M,  Shan Y, et al Sex-based disparities in timeliness of trauma care and discharge disposition. JAMA Surg. doi:10.1001/jamasurg.2022.1550